Montag, 13. April 2015

Äpfel und Birnen

Bon­jour, wel­come, gu­ten Tag! Hier kön­nen Sie den Ar­beits­all­tag ei­ner Dol­met­scher­in und Über­set­zer­in mit­ver­fol­gen. Seit einem knappen Jahrzehnt schreibe ich hier meine Beobachtungen auf, respektiere dabei natürlich mir anvertraute Dienstgeheimnisse. Als Sprachmittlerin werde ich in Paris tätig, in Berlin, Köln oder am Genfer See. Heute: Blick auf den Schreibtisch.

Apfelkuchen nach Art der Schwestern Tatin
Es gibt Einsätze, die kann nie­mand erfinden. Das Kor­rek­to­rat einer Koch­buch­über­set­zung zum Beispiel, in dessen Wo­chen Fe­ier­ta­ge fallen — eine Zeit, in der Gäste im Haus sind. Was liegt näher, als sich ei­ni­gen Rezepten aus dem Re­zept­buch direkt zu­zu­wen­den? Dabei stellt sich unerwarteter Weise heraus, dass einige Men­gen­an­gaben wohl falsch sind.

Gut, ich verändere eigentlich schon immer beim Backen nach Rezept die Men­gen­ver­hält­nisse, weil ich es nicht so süß mag. Hier war etwas offensichtlich falsch ... al­ler­dings erst dann, als ich in der Küche stand. Andere Kochbücher und das Welt­wei­te ha­ben mir geholfen, dem Fehler auf die Spur zu gelangen. Und so wurden die Schrum­pel­äpfel aus dem Keller zu einer höchst an­nehm­ba­ren Tarte Tatin. (Nein, zu zwei Ex­em­pla­ren, wie Sie erahnen können.) Anschließend habe ich alle Zu­ta­ten­listen des Kochbuchs noch einmal gegengelesen, weitere Unstimmigkeiten ge­fun­den und sie mit dem Autor des Buches ab­ge­klärt. Mein Favorit der Re­zept­samm­lung war üb­ri­gens selbstgemachtes Birneneis, das habe ich aber nur lesend durch­dacht. Wenn wieder Herbst ist ...

Sonst steht Nacharbeiten auf dem Programm: Verteidigungspolitik, sicher nicht mein Wunschthema, aber als po­li­tisch denkender Kopf kann ich mich in alles hin­ein­schrauben. Dann Fachvokabular für eine Badezimmersanierung. Es ist mein ei­gen­es Bad, aber wo ich schon mal dabei bin, kann ich die passenden Begriffe für den nächsten Einsatz mit Ar­chi­tek­tin oder Innenarchitekt schon mal üben.

Weiter: Aktuelle Themen, Europapolitik, Wirtschafts- und Geldpolitik. Ein gewisser Herr Müller, Kolumnist beim Spiegel, wundert sich in seinem stets praktischen Wo­chen­über­blick darüber, dass die Unternehmen (insbesondere in Zeiten billigen Gel­des) so wenig investieren. Vielleicht wissen sie um Absatzprobleme, da sich sehr viel Geld immer stärker in den Händen weniger konzentriert, vielleicht ahnen sie auch, dass die Wirtschaft vom Diktat des Immer-Mehr in Richtung solider, nach­hal­ti­ger und 100 % recyclingfähiger Produkte umgebaut werden muss, was als Erst­in­ves­ti­tion natürlich teurer ist, vielleicht ist es aber auch einfach nur so, dass sich mit dem Produktionsmittel Geld weiterhin größere Gewinne an der Börse "er­wirt­schaf­ten" lassen? Leider hört Müller dort auf, wo es mit den Fragen richtig los­ge­hen müsste.

Als Dolmetscherin lese ich solche Texte auch immer in Vorwegnahme auf zu Ver­dol­met­schen­des. Ich bilde mich weiter zum Thema in meinen Sprachen und ergänze dabei meine Fachwörterlexik.

Für den Rest der Woche liegt hier noch etwas zur Entstehungsgeschichte Europas. Nächstes Jahr feiert die Mon­tan­union, auch Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl genannt, ihren 65. Ge­burts­tag. Last but not least darf ich mich dem Thema "Integration und Chancengleichheit" wieder einmal widmen, erneut mit einer deutsch-französischen Blickrichtung.

Zwischendurch habe ich einen Kostenvoranschlag für eine Drehbuchübersetzung und die englische Fassung eines Filmförderantragsdossiers geschrieben. "Post­wen­dend" zeigte sich der potentielle Kunde aber darüber überrascht, dass wir zwei un­ter­schied­li­che Preise vorschlagen.

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Nun, hier ist der sehr gut und eingängig ge­schrie­be­ne durch­ge­hen­de Drehbuchtext (mit unterdurchschnittlichem Recherchebedarf) schneller zu übertragen als eine Excel-Tabelle mit lauter neuartigen Ko­fi­nan­zie­rungs­part­nern und unterschiedlichen Re­coup­ment-Me­tho­den sowie ei­nem ver­trags­ar­ti­gen Anhang. Wir werden doch nicht Äpfel mit Birnen ver­glei­chen!

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Fotos: C.E.

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