Samstag, 6. Dezember 2014

Fremddeutsch III

Ob ge­plant oder zu­fäl­lig: Sie le­sen hier ei­ne Sei­te mei­nes di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buchs. Als Dolmetscherin und Übersetzerin notiere ich, was mir in unserer heu­ti­gen Welt auffällt, und ich schreibe über Sprachen und Hintergründe.

Kuriose Woche: Zwischen Gesundung von der Grippe und eingeklemmtem Nerv kommt mir die Wirklichkeit verzerrt vor. Ich höre Berichte über An­ti­bi­o­ti­ka­re­sis­ten­zen und Krankenhauskeime, über übermäßigen Fleischkonsum und über An­ti­bi­o­ti­ka­miss­brauch in den Tierställen. (Schweine bekommen in der Mas­sen­tier­hal­tung alle 5,5 Wochen dieses Medikament, um die Ausbreitung von Krankheiten zu ver­hin­dern — und weil es das Wachstum befördert.)

Zugleich erinnere ich mich an den großen Aufschrei weiter Kreise der Bevölkerung, als vor den letzten Wahlen der sogenannte "Veggie-Day" vorgeschlagen worden ist, der eine fleischfreie Tag in der Woche. Derlei sei Bevormundung und Beschneidung der persönlichen Freiheit, hieß es allenthalben. Nun forderte eine andere (al­ler­dings regionale) Volkspartei, dass Migranten künftig in den eigenen vier Wän­den nur noch Deutsch sprechen sollten: "Wer dauerhaft hier leben will, soll dazu an­ge­hal­ten wer­den, im öffentlichen Raum und in der Familie deutsch zu sprechen", steht im Entwurf eines Leitantrags für den CSU-Parteitag, der Ende nächster Wo­che statt­fin­den wird. Dieses wurde aus einer vorab verschickten Textfassung be­kannt.

Wenn das keine Bevormundung ist! Vor allem ist der Vorschlag Ausdruck der völligen Un­kennt­nis darüber, wie Spra­chen­ler­nen funktioniert, näm­lich immer auch im Ver­gleich mit der Mut­ter­spra­che. Je dif­fe­ren­zier­ter zu­ge­wan­der­te Eltern die Sprache ihres Her­kunfts­lan­des be­herr­schen, desto besser erlernen ihre Kinder die je­wei­li­ge Zweit­spra­che.

Ein neues Idiom braucht eine korrekte und möglichst elaborierte Grundlage, um die nötigen Vernetzungen im Gehirn zu schaffen. Kurz: Es ist keinem Kind aus der Migration gedient, wenn seine "Muttersprache", die Sprache, die es zu Hause am meisten hört, ein verstümmeltes, fehlerbehaftetes Deutsch ist. Hier eine Miniatur, die ich zu diesem Thema vor sieben Jahren geschrieben habe.
Fremddeutsch
Ein Abend am Maybachufer: Ich klöne mit einer Nachbarin auf der Stra­ße, da kommt eine Familie vorbei. Der Filius ist um die drei, Daddy hält ihn auf dem Sattel des Kinderrades fest und ruft: "Gib Fuß, gib Fuß!"
Er meint wohl, dass das Kind in die Pedale treten solle.

Die Mutter läuft in den Hausflur und sagt dabei: "Isch muss noch Post gucken!", analog gebaut zu "Fernsehen gucken", nur das es nach der Post sehen heißt und im Deutschen auch Artikel gebräuchlich sind.

Die Nachbarin, selbst Mutter eines Kleinkindes, mutmaßt, es handele sich um eine türkische Familie, die jetzt mit ihrem Kind Deutsch spre­chen würde, um die Integration zu erleichtern.

Dazu ein anderer Nachbar: "Zufällig kenne ich die Familie. Seine Mut­ter­spra­che ist Arabisch, ihre Türkisch, daher ist die Umgangssprache der Familie Deutsch. Ihre drei Kinder beherrschen die drei Sprachen nur bruch­stück­haft, wenn die Infos meiner Kolleginnen stimmen." Der Mann ar­beitet als Sozialarbeiter im Kiez.

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Foto: C.E.

2 Kommentare:

SCHNEIDER hat gesagt…

Liebe Frau Elias,

Sie kennen mich nicht, ich kenne Sie aber bzw. ihre Arbeit als Dolmetscherin bei der französischen Filmwoche. Jetzt verstehe ich, warum Sie derzeit nicht dort auf der Bühne stehen! Von Herzen wünsche ich Ihnen gute Besserung und kommen Sie bald wieder! Sie sind nicht richtig ersetzbar, auch wenn ihre Vertretung nicht wirklich schlecht ist, so fehlen mir Ihre Genauigkeit und die Nuancen.

Mit freundlichen Grüßen,
I. Schneider

caro_berlin hat gesagt…

Liebe Frau Schneider,
vielen Dank für Ihre Genesungswünsche! Und die Filmwoche fehlt mir auch.
Mit freundlichen Grüßen,
Caroline Elias