Dienstag, 11. November 2014

Rechenstündchen

Willkommen auf den Seiten meines virtuellen Arbeitstagebuchs. Hier schreibe ich über den Berufsalltag von Sprachmittlern, über Sprache, kulturelle Unterschiede und Bildungstehmen.

Spontan einsetzbar sind wir schon, aber auch nicht immer. Da sucht eine Firma für in zwei Tagen (!) eine Dolmetscherin mit Deutsch als Muttersprache für DE<>FR, so kürzen wir unsere Sprachen ab. Schauen wir genauer hin.
DRINGEND! Anreise übermorgen, Abreise zwei Tage später, 1. Abeitstag acht Stun­den, 2. Arbeitstag fünf Stunden, Gegenstand: Technische Schu­lung/Se­mi­nar, 80 Teilnehmer. Businesslook, Sicherheit im Sprechen vor Publikum, her­vor­ra­gen­de Kenntnis der betreffenden Sprachen. Rei­se-, Hotel- und Restau­rant­kosten werden übernommen, Preis für das Über­setzen: 60 Euro die Stunde. Mikrofon/Kopfhörer vorhanden.
Super, schick, großes Kino, seit wann setzen Kunden unser Honorar fest? Dieser Preis pas­­st nicht zum Berufsbild und eine Flüsteranlage ist bei derart langen Ver­an­stal­tun­gen ein Problem. Denn Räume sind laut, Sprecher auch, und wenn wir die ganze Zeit reinreden, steigt der Pegel für alle. Wer wie wir mit Sprache (also mit den Ohren) arbeitet, ist akustisch besonders empfindlich.

Die akustischen Bedingungen sind ein großer Stressor und oft Grund für vorzeitiges Ermüden. Ein solches Setting bedeutet: Hier knistert einer mit dem Bonbonpapier, der Assistent kommt kurz herein und sagt der Chefin etwas, einer niest, eine an­de­re schenkt sich spru­deln­des Mineralwasser nach und der Videobeamer brummt oh­ne­hin die ganze Zeit. Für normale Zuhörer mag das kein lautes Umfeld sein, für Dolmetscher, die sich selbst "reinsprechen", also möglichst akkurat "darunter" noch die Stimme der Redner hören müssen, ist es das schon.

Und handelt es sich hier um einen Zufall, dass hier nicht von ei­ner zwei­ten Kol­legin/einem zweiten Kollegen die Rede ist? Bei allem, was länger als 20, 30 Mi­nu­ten dauert, brauchen wir die zweite Kraft. Dolmetschen ist mentaler Leis­tungs­sport, Multitasking, dazu braucht es ein besonderes Training. Die einzelnen Dol­metsch­pha­sen sind wie Sprintläufe. Keinem Sprinter würde man abverlangen, in seinem Sprinttempo einen Marathon zu laufen.

Dass unsere Ar­beit hier "übersetzen" und nicht "dol­mets­chen" genannt, wird, ge­schenkt!

Hier unsere Art des Rechnens:
(Tagessatz 750 Euro) hoch 2 plus Überstundenzuschlag (ab sechs Stunden netto) von 120 Euro pro Dolmetscher(in) vor Steuern plus Nebenkosten (Technik, Reise, Kost/Logis), Reisezeitvergütung am 12.11.


In Berlin koste die Stunde Wahrsagen bei der beliebtesten Glaskugeldame hun­dert Euro, so die Kolleginnen, und man müsse acht bis zwölf Wochen auf einen Termin warten. Ich weiß schon gleich und ganz kostenlos, dass sich auf die Suchmeldung da oben kein Profi melden wird.


P.S.: Die Tagessätze sind nur ein Beispiel und können bei sehr anspruchsvollen Themen auch darüber liegen. Bei längeren oder regelmäßigen Einsätzen sowie weniger gut dotierten Kunden oder für Projekte, die aber wichtige und span­nen­de Ziele verfolgen, geben wir Nachlässe.
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Illustration: eigene Tabelle

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