Dienstag, 9. September 2014

Preisgefüge

Bienvenue und herzlich willkommen beim ersten Weblog Deutschlands aus dem Inneren der Dolmetscherkabine! Hier schreibt eine Übersetzerin und Dol­met­scher­in, deren zweite Hauptarbeitssprache Französisch ist.

Eine Männerhand schreibt etwas in ein Notizbuch
Termine notieren wir im Team auch füreinander
Lange dachte ich, dass allen potentiellen Kunden ein­leuch­tet, dass die Arbeitsstunde einer mehrsprachigen Trans­la­to­rin teurer ist als zum Bei­spiel das, was ein Hand­werks­meister nor­ma­ler­wei­se so auf die Rechnung schreibt. Und dass die Stunde einer un­ge­lern­ten Kraft auf dem Markt weniger wert ist als die eines "aus­ge­lern­ten" Profis.

Das war lange mein Grundgedanke zum Thema "Preisgefüge". Ich schei­ne mich ge­täuscht zu haben. Offenbar gibt es da draußen bei vielen Menschen gar kein Gefühl mehr zum Thema angemessene Honorarsätze für die Dienstleistung von Menschen, die nach dem Abitur noch eine Hochschule besucht haben.

Freitag fragte mich ein Mensch aus dem mittleren Management eines Me­dien­un­ter­neh­mens, ob ich für sein Unternehmen würde dolmetschen können. Detailliert zähl­te er die Anforderungen auf, um mir dann einen Honorartagessatz von 150 Euro vor­zu­schla­gen. Samstag erhielt ich Post von |einer Agentur| einem Über­setz­ungs­mak­ler, die einen recht komplizierten Text übersetzt haben wollte, Lie­fer­ter­min: Sonn­tag­abend. Zeitaufwand für Übersetzen, Korrekturlesen und Neu­for­ma­tie­ren: ca. fünf Stunden. Dafür wurden mir knapp 100 Euro an­ge­bo­ten.

100 Euro hat auch der Hausmeisterdienst dafür veranschlagt, dass der Hauswart acht Ki­lo­me­ter aus dem Nachbarbezirk anreist, um die fette Ratte aus dem Hof zu ent­fer­nen, die sich dort zum Sterben niedergelegt hat. OK, war auch am Sonntag. Aber es war natürlich mal wieder spannend, was mit ungelernter Beschäftigung so er­wirt­schaf­tet werden kann, und dass es in anderen "Gewerken" Sonntagszuschläge natürlich noch gibt. Er hat so gerechnet: 40 Euro Honorar für die angefangene Stunde und zehn Euro für die Anfahrt, Sonntagszuschlag 100 %.

Auf keinen der Preisvorschläge wurde eingegangen. Und ich erinnere mich daran, dass echte Handwerker auf ihren Rechnungen immer noch einen Posten für das "Vorhalten" des Werkzeugs aufführen.

Nein, ich berechne demnächst nichts fürs Bereithalten von Rechner, Wörterbuch und Mundwerk. Kostenvoranschläge erstellen wir gerne und freuen uns über jede (ernstgemeinte) Anfrage.

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Foto: Alejandro Escamilla (via Unsplash)

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